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Innere Autorität - äußere Autorität

 

Unser tägliches Leben ist bestimmt von unzähligen Autoritäten, die das gesellschaftliche Zusammenleben regeln. Einige davon sind offensichtlich: Das sind die Regierungen und ihre Gesetzgebung. Das sind unser Arbeitsplatz, Institutionen verschiedenster Art, ob im Bereich des Staates, des Bildungswesens, der Vereine, der Religionen usw. Sie alle machen Vorschriften und setzen Richtlinien, die zu befolgen sind. Daneben gibt es die Autorität der gesellschaftlichen Normen und Werte. Darüber deckt sich die Schicht des Mainstreams, dessen was en vogue, gerade in Mode ist; da sind die Beeinflussungen der Produkte-Werbung. Von all diesen Autoritäten lassen wir uns mehr oder weniger bewusst leiten oder zumindest beeinflussen. Wir nehmen sie aber nur teilweise tatsächlich auch als Autoritäten wahr. Das bedeutet somit, dass wir eigentlich weniger frei sind in unseren Entscheidungen, als wir es glauben. Die geschilderten Autoritäten könnte man als 'äußere Autoritäten' bezeichnen. Sie sind - auch wenn sie über lange Zeit stabil wirken - letztlich der Veränderlichkeit unterworfen und nicht bis in alle Unendlichkeit feststehend.

 

Es gibt nur eine einzige Autorität, die immer bestehen bleibt, solange wir leben. Die Rede ist von unserer 'Inneren Autorität'. Sie ist eine Stimme aus unserer Tiefe, unbeeinflusst vom Ego und von konditionierten Mustern, die uns mitteilen will, was für unser persönliches Leben, für die Entwicklung unseres Lebensweges wichtig und richtig ist.  Sie sagt uns, wie wir uns in einer speziellen Situation verhalten sollen, um uns nicht selbst zu schaden und auch nicht anderen. Sie teilt uns mit, was gerade 'dran' ist für uns bezüglich unserer Persönlichkeitsentwicklung. Sie ist zu Mitgefühl zu anderen  Lebewesen fähig; ein Mitgefühl, das nicht aus einem Pflichtgefühl entspringt, sondern natürlich gewachsen ist aus der eigenen inneren Mitte. - Diese 'Stimme' der Inneren Autorität wird zuallererst intuitiv fühlend erfahren, auch wenn sie danach unter Umständen den Verstand mit in ihren Dienst nehmen kann.

 

Diese innere Stimme ist nicht zu verwechseln mit dem anerzogenen Gewissen, das Inhalte vertritt, die den gesellschaftlichen Normen entsprechen und die uns während unserer Erziehung eingeprägt wurden und welches sich in Form von Glaubenssätzen ausdrückt, die uns sagen, was 'man' zu tun und zu lassen hat; was 'man' darf und was nicht; "was wohl die Leute sagen, wenn ...", usw.

 

Die Innere Autorität, die jedem Menschen zu eigen ist, ist einzig an seinem Wohl interessiert. Sie lässt uns nach der Umsetzung unserer Ideale suchen und ruft uns zur Verwirklichung unserer Fähigkeiten und Begabungen auf. Dennoch kann sie auch Dinge von uns fordern, die nicht angenehm für uns sind und viel von uns abverlangen. Manchmal verlangt sie - allerdings zu unserem eigenen Wohl und ohne dass wir den Grund unmittelbar verstehen können - einen Verzicht oder eine Kompromissbildung. Ein anderes Mal entbindet sie uns von Pflichten und Schranken, die wir uns fälschlicherweise selbst auferlegt haben und leitet uns in eine innere und oftmals auch damit verbunden äußere Befreiung. Manchmal bedeutet der Inneren Autorität zu folgen, gegen den Strom zu schwimmen oder andere Menschen mit Tatsachen zu konfrontieren, die für diese wiederum unangenehm sind. Die Innere Autorität ermöglicht es, für unsere Grenzen einzustehen. Sie schützt uns ebenso vor Fehlern, mit denen wir uns selber "ein Bein stellen" würden.

 

Bei der Mehrzahl der Menschen liegt heutzutage die Stimme der Inneren Autorität kaum vernehmbar im Dunkel des Unbewussten. Wir sind zu sehr abgelenkt von den Ereignissen der äußeren Welt. Durch den gesellschaftlichen Druck, der sich auch massiv in festgelegten Erziehungs- und Bildungskonzepten ausdrückt, durch Gewohnheiten, durch den Druck in der Arbeitswelt, durch das durch die Naturwissenschaften geprägte rationale Denken und durch unsere materielle Konsumorientierung bleibt diese innere Bauchstimme tief im Unbewussten verschüttet und ist eher selten oder nur schwach und leise vernehmbar.

 

Um die innere Stimme besser kennenlernen zu können, benötigen wir immer wieder Phasen der Ruhe. Ist sie uns dann vertraut, können wir sie trotz äußerem Umtrieb und Lärm klar vernehmen. Denn es geht darum, die Innere Autorität nicht nur bei sogenannten großen Entscheidungen und Lebensereignissen in Anspruch zu nehmen, sondern auch bei kleinen alltäglichen; eigentlich jederzeit.

Sie hilft, uns gegen unangemessene Einwirkungen von außen abzugrenzen, genauso wie gegen ungute Gewohnheiten, Verhaltensmustern, die sich in uns breit gemacht haben und mit denen wir letztlich uns selbst nichts Gutes tun oder schaden.

 

Leider vermeiden viele Menschen den Kontakt mit der inneren Stimme, weil sie befürchten, eingefahrene Verhaltensweisen ändern zu müssen, die ihnen bequem geworden sind, die ihnen aber genau genommen nicht gut tun oder die Entwicklung ihres Lebens blockieren. Oder sie haben eine irrationale Angst davor, in ihrem Inneren nur Chaos oder Leere vorzufinden bzw. Erkenntnisse, durch die sie sich in Folge als wertlos und minderwertig fühlen müssten, wie sie unbewusst vermuten. Sie haben überhaupt keine Vorstellung davon, dass genauso Gegenteiliges zu finden ist. 

 

Die Innere Autorität wird abtrainiert: "In den ersten Lebensjahren wird die Aufmerksamkeit, besonders im Rahmen der Erziehung, vornehmlich auf die äußere Welt gerichtet. Es wird einem gesagt, was man tun soll, was man lassen soll, was man lernen soll, und wie man denken soll.  

Dummerweise lebt diese Angewohnheit, den Anweisungen anderer zu folgen, auch dann noch lange fort, wenn sie längst nicht mehr zweckmäßig ist. Der Schritt, die Aufmerksamkeit auf die innere Erfahrung zu richten und dadurch zu wissen, was man fühlt, was man denkt und was man wirklich will, wird dann oft so lange hinausgeschoben, bis die Unzufriedenheit über das, was man von anderen angenommen hat, unerträglich schmerzhaft wird.“ (Frances Vaughan, Transpersonale Psychotherapeutin in ihrem Buch 'Heilung aus dem Inneren')


Wenn also im Vorfeld nicht eine kritische Lebenssituation auftaucht, tritt dieses Unbehagen oft  dann zur Lebensmitte auf, was eine Zeit lang auch mit dem Modewort ‚Midlife-Crisis‘ zum Ausdruck gebracht wurde. Denn wir verpassen sehr viel Wichtiges und Authentisches, wenn wir uns nur nach äußeren Vorgaben richten und unsere innere Autorität vernachlässigen. Der Zugangsweg zur Inneren Autorität ist der Weg der Intuition.

 

Einige Vorgaben äußererer Autoritäten sind zwar für das Zusammenleben und Funktionieren der Gesellschaft wichtig. Wir sollten darüber aber niemals unsere Innere Autorität vergessen, die, wenn sie es als sinnvoll für uns findet, auch Maßnahmen von äußeren Autoritäten respektiert. Aber immer kümmert sie sich um unser eigenes Wohlergehen und um unsere Entwicklung, so, wie sie für uns richtig ist.

 

 © Ruth Scheftschik