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Innerer Beobachter

 

Ein sehr wichtiger Bereich in unserem Geist, den wir immer benötigen bei der Selbstfindung und zur bewussten Lenkung unseres Lebens, ist der 'Innere Beobachter'. (Nicht zu verwechseln mit dem 'Inneren Kritiker'!) Wir können ihn jederzeit benutzen ohne Anwendung einer speziellen Methode oder Technik. Er ist kein Phantasiegebilde sondern ein eigenständiger Bereich unseres Bewusstseins, der uns jederzeit im Alltag zur Verfügung steht.
Ein Stück weit benützen wir ihn unbewusst, der eine mehr, der andere weniger. Solange wir nicht wirklich um ihn wissen, entgeht uns ein wichtiges Hilfsmittel zur bewussten Lebenslenkung.

 

Um besser zu verstehen, was mit dem Inneren Beobachter gemeint ist, kann die Situation angeführt werden, wenn wir in neutraler Weise über uns selbst berichten. Ein Beispiel: Wir erzählen einer Freundin/einem Freund: “Immer wenn ich in eine Gruppe mit fremden Menschen komme, fällt es mir schwer, etwas zu sagen. Dann fällt mir einfach nichts ein. Dabei habe ich so ein ziehendes Gefühl in der Magengegend. Wenn nur eine Person anwesend ist, fällt es mir leichter.“ Hier stellt die Instanz des Inneren Beobachters nicht nur bewertungsfrei fest, wie sich ein Gegenüber verhalten hat, sondern besonders auch wie wir uns selbst  wahrgenommen haben in Verhalten und bzgl. Körpergefühle. Wir konnten aus einer inneren Distanz heraus uns selbst beobachten und unserem Gegenüber das mitteilen, was uns an uns selbst aufgefallen war.

 

Der Innere Beobachter wertet nicht. Er stellt nur sachlich fest, was ausserhalb und innerhalb von uns vor sich geht. Erst unsere Lebenserfahrungen, Glaubenssätze und Erinnerungen färben die Beobachtungen durch gedankliche Bewertungen und durch Emotionen ein. Wenn wir den bewussten Zugang zum Inneren Beobachter geöffnet haben, können wir feststellen, dass wir mit seiner Hilfe in der Lage sind, die eigenen Gedanken und die eigenen Gefühle bereits im Entstehen wahrzunehmen.

 

Durch den Inneren Beobachter stellen wir bewusst fest, dass wir gerade denken und fühlen und was wir gerade denken und fühlen und können somit Einfluß nehmen auf diese beiden Aktivitäten. Wir sind nicht mehr dem ununterbrochenen Gedankenfluss und dem Auf- und Abwallen der Gefühle hilflos ausgeliefert. Wir können sie lenken. Und je nach dem gestaltet sich dann das Leben auch unter-schiedlich in der Außenwelt. ( Auch in der Therapie ist diese Eigenschaft des menschlichen Geistes ein wichtiges Hilfsmittel, um z.B. Angststörungen und Depressionen zu behandeln. )

 

Der alltägliche Aktionsmodus, in dem wir uns dagegen meistens befinden, ist der, dass wir unmittelbar mit unseren Gefühlen und Gedanken eine Verbindung eingehen. Wir identifizieren uns mit den Inhalten. Das gibt uns ein Empfinden, als ob wir unsere Gefühle und Gedanken wären und nicht, dass wir sie nur haben. Wir fühlen uns persönlich betroffen und möglicherweise verletzt.  Als nächster Schritt entsteht das Bedürfnis, in eine unmittelbare Reaktion gehen zu müssen. Das Ganze läuft in Bruchteilen von Sekunden ab und die Handlung ist getan, bevor wir nachgedacht haben. Wenn es sich um eine angenehme Situation handelt, ist offensichtlich nichts dagegen einzuwenden. Handelt es sich jedoch um eine unangenehme Situation, entsteht oft sehr schnell eine Kettenreaktion von Angriff und Gegenangriff, wenn auch nur verbal. Oder wir ziehen uns verletzt zurück. Insgesamt trägt all das wenig zu einer sinnvollen Lösung einer Meinungsverschiedenheit bei.

 

Der Innere Beobachter nimmt erst einmal neutral wahr, was vor sich geht, ohne sofort eine Handlung in Gang zu setzen. Dadurch entsteht Zeit bzw. ein virtueller Raum zwischen dem Geschehen und der Reaktion - ein Zeitraum. In diesem Zwischenraum können wir (kurz) überlegen, ob unsere Gefühle und Gedanken der Situation angemessen sind oder nicht. Wir können dabei häufig auch feststellen, welche tatsächlichen Gründe, Ursachen und Motive sie haben. Z.B. ist mancher Ärger, den eine andere Person in uns auslöst, nur eine Übertragung der Wut, die wir aus unterschiedlichen Gründen auf uns selbst haben, auf die andere Person, die damit gar nichts zu tun hat. (Projektion). - So entsteht ein eigentlich überflüssiger Konflikt, der durch bewusste Zuhilfenahme des Inneren Beobachters hätte vermieden werden können.

 

Wir können uns im freien Raum ebenso fragen, ob wir denn mit der spontanen Reaktion wirklich unser Ziel erreichen werden, das wir im Auge haben, oder ob wir ihm eher durch die vorschnelle Reaktion schaden. Reagieren wir impulsiv und direkt aus der Identifikation mit einem Gefühl heraus, verlieren wir leicht das Ziel aus den Augen und verpassen es dann unter Umständen durch eine ungünstige Verhaltensweise, die dem spontanen Gefühl unvermittelt folgt.


Im Gegensatz dazu ermöglicht der Innere Beobachter eine bewusste, also eine geklärte Entscheidung zu treffen hinsichtlich einer Reaktion. Auf diese Weise kommt ein anderes, der Situation und den daran beteiligten Personen angemesseneres Ergebnis, zu Stande.

 

In den Alltagssituationen zunehmend auf die Instanz des Inneren Beobachter zu achten, bringt mehr Einzelheiten ins Bewusstsein, sodass wir Situationen besser durchschauen und aus dieser Position heraus unser Leben gezielter lenken können. Anfangs ist dieser Modus noch etwas ungewohnt und scheint anstrengend zu sein. Je mehr er durch Übung zur Gewohnheit wird, läuft er auch innerhalb von Sekunden ab; so, als ob wir impulsiv aus einer Identifikation handeln würden - dieses Mal aber geklärter.

 

Die Spontaneität geht durch den Inneren Beobachter nicht verloren, eine schädliche Impulsivität ist dagegen kontrollierbar.

 

Nicht nur bei unangenehmen Situationen ist der Innere Beobachter hilfreich, sondern ebenso in angenehmen, als positiv empfundenen. Denn glückliche Gefühle können uns auch "überrennen", was dazu führen kann, dass wir umso tiefer fallen, wenn sie dann in irgendeiner Weise enttäuscht werden. Es gibt auch Menschen, denen es unangenehm ist, wenn wir sie mit euphorischen Emotionen überschütten. Dann ist es gut, erst einmal den Inneren Beobachter einzuschalten, um die Heftigkeit unserer Gefühle einschätzen zu können. Somit lassen sie sich bremsen, wenn wir merken, dem anderen könnte zuviel zugemutet werden, wenn wir unseren Gefühlen freien Lauf ließen.

Ein wichtiger Aspekt des Inneren Beobachters ist auch, dass wir durch ihn glückliche Ereignisse tiefer wahrnehmen, weil wir sie bewusster erleben und sie dadurch mehr schätzen können. Eine gesunde, echte Dankbarkeit kann daraus erwachsen, welche ein enormer Energiespender ist.

 

Der Innere Beobachter ist ein Aspekt unserer Inneren Mitte. Ihn regelmäßig in Anspruch zu nehmen, bedeutet keine Verflachung unseres emotionalen Lebens sondern eine Vertiefung. Wir werden durch ihn in die Lage versetzt, das Leben zwar aus einer gewissen Distanz wahrzunehmen, dennoch bekommt es mehr Konturen, weil das Wahrnehmungsspektrum weiter wird und tiefer. Somit wächst der Reichtum an inneren Erfahrungen.

 

Man könnte sagen: Wenn wir uns hauptsächlich mit unseren Gedanken und Gefühlen identifizieren führen wir ein zweidimensionales, flaches Leben. Ziehen wir den Inneren Beobachter hinzu und vertrauen auf ihn, bekommt das Leben eine dritte Dimension hinzu - die Tiefe.

 

Innerer Beobachter: 



 

 

Gesamtperson                                            Du = Person(n) oder Situation

 

Smiley = Innerer Beobachter
'Ich'-Empfinden einschließlich
Gedanken u. Gefühle 

 

Im Gegensatz dazu eine Skizze bzgl. der 'Identifikation'.  Das heißt, wir reagieren ohne Inneren Beobachter direkt aus dem 'Ich'-Gefühl heraus auf das, was auf uns zukommt, und  ohne inneren Abstand. Wir gehen direkt in die Situationen hinein, verstricken uns in sie und haben keine Zeit zum Nachdenken. Das verstärkt bestehende Probleme und erschafft neue Konflikte und Stress.

 

 
Identifikation:

 


 

                                            

                                Person                    Person, Situation, Gedanken, Gefühle

 

 

Zusammenfassung:

Der innere Beobachter ist neutral. Er beobachtet einfach, ohne an einem bestimmten Ausgang interessiert zu sein. Für ihn ist es ohne Belang, ob die Situation, die sich abspielt, eine Komödie ist oder eine Tragödie. Er beobachtet, was vor unseren Augen geschieht. Genauso beobachtet er, welche Gefühle und Gedanken dabei in unserem Inneren ausgelöst werden und wie sie sich entwickeln. Er nimmt auch Reaktionen des eigenen Körpers wahr.

Es entstehen Raum und Weite um das Geschehen; wir können erst einmal durchatmen. Wir  fühlen uns nicht unmittelbar bedrängt und an die Wand gedrückt von dem Eindruck dessen, was sich uns da zeigt. Wir haben Zeit zum Überlegen. Dabei nehmen wir nicht nur das wahr, was außerhalb von uns geschieht, sondern wir können gleichzeitig uns selbst spüren und sind nicht in Äußerlichkeiten einer Situation verstrickt. Dadurch bleibt Zeit, eine bewusste Entscheidung zu treffen, in Bezug auf die eigenen Reaktionen. Wir reagieren nicht automatisch.
Wir sind Lenker, Regisseur bzgl. dessen, was wir erleben wollen.


Die Position des Inneren Beobachters einzunehmen ist Übungssache. Mit der Zeit gelingt es - wie bereits erwähnt - in Bruchteilen von Sekunden aus ihr heraus zu entscheiden und dementsprechend zu reagieren und zu handeln. Das geht dann genauso schnell, wie wenn wir unkontrolliert impulsiv handelten, bringt aber andere Ergebnisse.

 
( ! Nicht zu verwechseln ist der Innere Beobachter mit dem Inneren Kritiker ! ) Der Innere Beobachter ist eine unumstößliche Eigenschaft unseres Geistes. Der 'Innere Kritiker' ist maßgeblich geprägt durch die Erziehungseinflüsse, denen wir ausgesetzt waren und spiegelt zum großen Teil die Überzeugungen unserer Eltern und anderer Autoritäten, die wir uns zu Eigen gemacht haben. Das geschah, weil   wir als Kinder die Welt noch nicht kannten und uns deshalb keine Alternativen zu diesen Einwirkungen zur Verfügung standen. Der Innere Kritiker bildet sich durch Prägung aus ( = Konditionierung) und sitzt im 'Ich'-Bereich. Er kann dahingehend bearbeitet werden, dass sein Einfluß abgebaut wird. )

 

 © Ruth Scheftschik, Ulm